Rezension: Nie, Nie, Nie (Linn Strømsborg)

Darum, dass Carrie Bradshaw keine Kinder bekommt, wird nie viel Aufhebens gemacht. Ich hingegen werde ständig darauf angesprochen.

aus: Nie, Nie, Nie von Linn Strømsborg

Ich habe gerade ein Buch beendet, das von einer Frau handelt, die keine Kinder möchte.
“Nie, Nie, Nie” ist das erste in deutscher Sprache übersetzte Buch der Norwegerin Linn Strømsborg. Es ist ein eher ungewöhnlicher Roman. Geschrieben aus der Ich-Perspektive der Erzählerin (deren Namen wir übrigens nicht kennen), an manchen Stellen ist diese Person aber auch auktoriale Erzählerin. Manche Seiten haben nur einen kurzen Absatz. Der Roman tröpfelt so vor sich hin, ist nüchtern, aber das ist nichts Schlechtes. Im Gegenteil. Mir hat dieser Stil sogar gefallen. Irgendwie musste ich oftmals an die norwegische Netflix-Serie “Home for Christmas” denken.

Die namenlose Erzählerin ist genauso alt wie ich, 35. Wir haben etwas gemeinsam: beide haben wir keine Kinder. Die Erzählerin möchte keine. Die meisten Menschen stoßen auf Unverständnis, wenn sie ihnen das sagt. Ihre Mutter strickt schon seit Jahren Babysachen, in der Hoffnung, doch noch irgendwann ein Enkelkind zu bekommen. Philip, der Freund, hat zunächst nichts dagegen, doch nach acht Jahren merkt er, dass er vielleicht doch Kinder haben will. Und dann wird Anniken, die beste Freundin der Erzählerin, schwanger. Für die Erzählerin ist das wie ein Schlag ins Gesicht, denn sie war davon ausgegangen, dass Anniken und sie niemals Kinder bekommen würden.
Die Erzählerin ist gerne für sich. Sie geht alleine ins Kino, in den Pub, ins Café. Auch wenn sie in einer Beziehung ist, braucht sie diese Zeiten für sich. Anniken allerdings ist das Gegenteil. Sie will nie alleine sein.

Während die eine mit Baby zuhause ist, genießt die andere weiter ihre Freiheiten. Niemand braucht ihre Aufmerksamkeit, sie muss sich um niemanden kümmern, kann abends lange wegbleiben und in Ruhe schlafen. Sie ist nicht müde und gestresst. Sie beobachtet junge Eltern, die auf der Straße mit ihren Kindern schimpfen, die müde Kinderwägen vor sich herschieben. Aber sie sieht auch glückliche Gesichter. Manchmal scheint sie ihre Entscheidung zu hinterfragen, doch sie besinnt sich darauf, dass sie all das nicht braucht, um “komplett” zu sein.

Von Freunden, Verwandten oder Bekanntschaften wird die Erzählerin im Laufe ihres Lebens darauf angesprochen, ob sie denn nicht mal bald Kinder haben möchte. Meistens antwortet sie dann vage, dass es gerade nicht passt oder sie ja noch Zeit habe.


Irgendwann fragt Aleksander, ob es nicht langsam Zeit wird, dass ich Kinder kriege.
“Bitte was?”
“Ist doch eine berechtigte Frage – in deinem Alter.”

aus: Nie, Nie, Nie von Linn Strømsborg

Nein, es ist keine berechtigte Frage. Leider wird in dem Buch nicht thematisiert, dass es nicht okay ist, einfach zu fragen, warum man keine Kinder will oder ob es nicht “langsam mal Zeit wird”. Denn die fragende Person kann nie wissen, ob die Frau vielleicht aus gesundheitlichen Gründen keine Kinder haben kann oder vielleicht traumatisiert ist durch eine Fehlgeburt oder ob sie andere Gründe hat. Vor allem Fremden sollte es egal sein, warum eine Frau keine Kinder haben möchte (oder kann). Auch unter Freunden wird u. U. nicht über alles gesprochen und wer weiß? Vielleicht hat die kinderlose Freundin tatsächlich eine Fehlgeburt erlebt und niemand weiß davon.
Die erzählende Frau aus “Nie, Nie, Nie” hat kein Trauma, aber das ist auch egal. Sie hat sich entschieden und nur sie allein hat das Recht dazu. Es ist ihr Körper, somit auch ihre Entscheidung. Das hat nichts mit Unreife oder Erwachsensein bzw. Nicht-Erwachsensein zu tun. Oder dass man egoistisch ist.
Die genauen Gründe werden mir nicht ganz klar, aber vielleicht ist das gewollt so.

Ich will nicht sagen, man müsse sich zwischen einer Familie und einem Fahrradkorb voller Bücher entscheiden – aber ich will nur den Fahrradkorb.

aus: Nie, Nie, Nie von Linn Strømsborg

Fazit

Der Stil, in dem Linn Strømsborg schreibt, mag nicht für jeden was sein. Das Thema allerdings ist wichtig. Wir leben im 21. Jahrhundert und immer noch scheinen Menschen Frauen geradeaus zu fragen, warum sie keine Kinder haben oder ob sie nicht langsam mal Kinder kriegen sollen, weil sie ja nicht jünger werden. Was ist eigentlich mit Männern? Müssen die sich auch solche Fragen anhören? Oder wird bei ihnen einfach angenommen, dass sie ja “immer können”, während es für Frauen irgendwann schwieriger wird? Oder liegt es daran, dass in unseren Köpfen immer noch der Mann arbeiten geht und die Frau zuhause bleibt? Dass der Mann der Hauptverdiener ist, während die Frau halbtags arbeitet, um sich um die Kinder kümmern zu können?

Ich selber habe mir früher nie die Frage gestellt, ob oder wann ich Kinder haben möchte. Jetzt bin ich 35, habe (noch) keine Kinder, bin aber verheiratet (waaaas? Wieso heiratet man denn, wenn man dann doch keine Kinder bekommt??? Komischerweise hat uns aber nie jemand gefragt. Unsere Freunde kennen uns halt. Außerdem haben wir nur wenige Monate vor Beginn der Pandemie geheiratet und seitdem mit niemandem wirklich Kontakt).

Eins steht fest: ich mache erst den Master und suche einen Job. Das finde ich momentan viel wichtiger.

Rezensionsexemplar (die Meinung ist meine eigene und hat nichts damit zu tun, dass mir das Buch zur Verfügung gestellt wurde)