Früher fühlte sich Weihnachten anders an

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Da lag immer schon Wochen vorher etwas in der Luft. Ein Hauch von Gemütlichkeit, Plätzchenduft, der Adventskranz auf dem Wohnzimmertisch. An jedem Advent saßen wir um den Adventskranz und sangen Lieder oder ich spielte Flöte. An all diese Dinge denke ich, wenn ich an meine Kindheit denke. Die beste Freundin beschenken. Von ihr etwas bekommen. Der letzte Schultag vor den Ferien. Vorfreude auf Weihnachten. Das gemeinsame Baumschmücken mit meinem Vater und meinem Bruder. Dazu lief eine Weihnachts-CD.

Am Heiligen Abend stand ich mit den anderen Messdienern um den Altar. Die Kirche war in Dämmerlicht getaucht. Und am Ende sangen alle Stille Nacht. Dabei kroch in mir ein Gefühl hoch, was mit Zufriedenheit und Glück gleichzusetzen ist. Den Vormittag des ersten Feiertages verbrachten mein Vater, mein Bruder und ich bei meinen Großeltern, die im selben Ort wohnten. Dort standen Tüten mit Süßigkeiten bereit, die Oma uns zurecht gemacht hatte. Nachmittags fuhren wir, diesmal auch mit meiner Mutter, zu den anderen Großeltern. An normalen Tagen saßen wir nie in ihrem salonartigen Wohnzimmer. Doch an hohen Feiertagen schon. Auf dem Tisch stand eine Dose mit Omas selbstgebackenen Plätzchen. Ganz früher gab es Geschenke, später Geld. Auch, wenn das Wohnzimmer nicht mehr existiert, das Haus längst verkauft und renoviert und meine Oma nicht mehr lebt, so ist die Erinnerung noch lebendig. Ebenso der Geschmack ihres Hefekuchens oder der Geruch im Haus. Oma, die im Sessel saß und strickte. Opa, der seinen Mittagsschlaf hielt.

Der zweite Weihnachtstag gehörte den anderen Großeltern. Wir holten sie ab und aßen Kuchen. Abends spielten wir noch alle zusammen Monopoly oder ein anderes Spiel. Und schon waren diese Tage, auf die man sich so gefreut hatte, auch schon wieder vorbei. Genau wie dieses Gefühl von Weihnachten. Wann ist das Gefühl verschwunden und wieso? Wo ist es jetzt?
Jetzt habe ich keine Zeit mehr, um mit meiner Mutter zusammen zu backen. Einen Adventskranz haben wir noch, aber die Kerzen brennen nicht mehr. In die Kirche gehen nur noch meine Eltern. Ich fühlte mich irgendwann zu beengt und unwohl dort. Mein Bruder wohnt in einer anderen Stadt. Wir besuchen ihn immer, auch Weihnachten. Meine beiden Omas leben nicht mehr. Nur noch ein Opa ist übrig. Der mit dem Mittagsschlaf. Er ist 97 und im Heim. Wir fahren zu ihm hin und werden dort auch andere Verwandte treffen. Der Raum dort, den wir für dieses Treffen immer mieten, ist auch alt, aber nicht so schön wie das Wohnzimmer, was es nicht mehr gibt. Es wird Kuchen und Plätzchen geben. Aber nicht Omas Gebäck.

Heilig Abend muss ich bis mittags arbeiten. Da ist keine Spur von einem Weihnachtsgefühl. Nur Erleichterung, die darauf folgenden zwei Tage nicht arbeiten zu müssen.