Rezension: The Mister (E.L. James)

Rezension: The Mister (E.L. James)

Rezension enthält Spoiler

Wer auf Twitter aktiv ist und dem einen oder anderen Buchblogger folgt, hat vielleicht in den letzten zwei Tagen den Hashtag #bbfliest desöfteren gelesen.

Unter dem Hashtag werden ab und zu gehypte Bücher gelesen, diskutiert und zerrissen. Dieses Wochenende haben sich die Initiatoren der Aktion “The Mister”, der neue Roman von E.L. James, ausgesucht. Am 20. April ist das Buch auf Deutsch im Goldmann Verlag (hier wird auch erklärt, wieso für das Buch sechs Übersetzerinnen benötigt wurden) erschienen, das Original am 16. April bei Randomhouse.

Ich habe vorher noch nie ein Buch der Autorin gelesen, noch kenne ich die 50 Shades of Grey-Filme (sollen lustig sein, hab ich mir sagen lassen). Schade, dass es sie gerade nicht zum Streamen gibt. Das Genre ist mir aber nicht unbekannt, denn ich muss gestehen, dass ich in den letzten Jahren, dem Kindle sei dank, etliche Bücher aus dem Bereich Romance/Erotic gelesen habe. Sowas fällt unter guilty pleasure, oder? Und ja, das eine oder andere Buch habe zum Zeitpunkt des Lesens auch als gut empfunden, bei längerem Nachdenken bin ich jedoch zum Schluss gekommen, dass diese Bücher nicht im Mindesten etwas mit der Realität zu tun haben.

Das Prinzip ist immer das gleiche: reicher Kerl, der natürlich unglaublich sexy ist, trifft auf weniger reiche bzw. eher arme Frau. Entweder ist sie seine Nachbarin (in diesem Buch sind beide jedoch eher reich als arm), oder er ist Dozent und sie seine Assistentin oder er ist ihr Frauenarzt. Es kann auch sein, dass er ihr Boss ist. Die Möglichkeiten und Jobs sind sehr vielfältig, aber wichtig ist: der Kerl muss reich und extrem gut gebaut sein und die Frau steht quasi nur unter ihm, da sie entweder noch Studentin ist oder Praktikantin oder als Sekretärin für ihn arbeitet. Ein weiteres Paradebeispiel ist “That Guy” von Kim Jones. Im Fall von James’ neuem Buch ist sie seine albanische Putzfrau.

Bevor ich mit der Rezension beginne, möchte ich noch eins loswerden. Ich schildere hier meine persönlichen Eindrücke! Im Internet gibt es zahlreiche positive Bewertungen. Für den einen ist das Buch vielleicht wirklich richtig toll. Das muss aber nicht für andere gelten – genau wie umgekehrt. Allerdings finde ich, dass es wichtig ist, sich näher mit dem Buch auseinander zu setzen, wenn man es gelesen hat. Vieles sollte hinterfragt werden, wie zum Beispiel das Frauenbild, was kreiert wird durch Maxims Sichtweise.

Triggerwarnung

“The Mister” schreit geradezu dazu, mit einem Trigger-Stempel versehen zu werden. Deshalb warne ich schon mal direkt zu Beginn vor: Frauenhandel, Unfalltod, Gewalt, Entführung, Waffen. Ganz schön krass für das Genre, denn es geht hier doch schließlich um eine Romanze.

Worum geht’s?

Alessia sucht in London ein besseres Leben als das, was sie bisher in Albanien hatte. Die 23jährige ist illegal im Land und kommt bei einer Freundin ihrer Mutter unter. Sie arbeitet als Putzfrau, unter anderem bei THE MISTER aka Maxim aka Lord Trevethick. Den Titel hat er erst vor Kurzem geerbt, nachdem sein älterer Bruder, Kit, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Maxim ist reich und sexy – natürlich. Er hat fast jede Nacht eine andere Frau im Bett. Er ist Komponist, DJ und Model, manchmal auch Fotograf. Frauen reduziert es aufs Äußere, er schaut ihnen hinterher (auf den Hintern) und bekommt einfach jede rum.

Alessia hingegen ist schüchtern, unerfahren und Jungfrau! Sie ist in dem Glauben aufgewachsen, dass die Frau zuhause bleibt, sich um den Mann kümmert, den Haushalt schmeißt und so weiter. Sie ist zwar zur Uni gegangen, weil sie Englisch-Lehrerin werden wollte, aber die Uni wurde geschlossen. Um ihrem Leben mit einem Mann zu entgehen, den sie nicht liebt und vor dem sie Angst hat (Spoiler: ihr Vater hat einen Mann für sie ausgesucht), ist sie mithilfe ihrer Mutter nach England gereist. Dabei ist sie in das Netz von Sex-Trafficker gelangt, konnte aber rechtzeitig fliehen. Die Typen sind ihr natürlich auf der Spur und bringen nicht nur Alessia in Gefahr.

Sie trifft Maxim und ist hin und weg. Auch Maxim ist fasziniert von seiner Putzfrau, die obendrein ein Talent hat, was man ihr wohl nicht zugetraut hat: sie kann Klavier spielen wie ein Meister!

Es kommt wie es kommen muss (haha, kommen) und die beiden verlieben sich, haben Sex und das nicht wenig und Maxim rettet seine Alessia vor den bösen Menschen. Friede, Freude, Eierkuchen.

Klischees, Klischees, Klischees

Klischee 1: Der Held der Geschichte ist schwerreich, sexy, Frauenheld, frisch gebackener Lord Dingsbums mit Anwesen in Cornwall, Oxfordshire und sonstwo. Frauen sind für ihn nur für eins da: Sex. Übrigens schläft er zwei Tage nach der Beerdigung seines Bruders mit der Schwägerin.

Klischee 2: Die Frau: arm, schön, unerfahren, unterwürfig (sie kann ihm nicht in die Augen sehen, wenn er mit ihr spricht, schaut immer auf den Boden).

Klischee 3: Der Held kann es mit allen aufnehmen: mit Alissas Entführern, die plötzlich auftauchen und seine Geliebte schnappen wollen, da sie ihnen entflohen ist. Praktischerweise hat Maxim auch Waffen parat, von denen er jedoch zum Glück nicht Gebrauch macht.

Außerdem ist es auch kein Problem, mal eben schnell nach Albanien zu fliegen, nachdem der Typ, den Alessia heiraten soll (hat ihr Vater eingefädelt. Netter Vater, verkauft seine Tochter. Daumen hoch.), entführt und mit ihr im Auto nach Albanien verschwindet. Maxim findet auch sofort das Elternhaus. Da Alessia keine Papiere mehr hat, versteckt ihr Entführer sie übrigens im Kofferraum. Maxim kommt noch vor Alessia am Elternhaus an, erklärt ihrer Mutter seine Absichten (heiraten) und wartet dann, bis seine Freundin mit dem Entführer auftaucht. Vertrauen seitens der Mutter ist schnell da, der Vater muss erst überzeugt werden.

Klischee 4: Überhaupt ist das Vertrauen eine Sache. Versetzt euch mal in Alissas Lage. Frauenhändler nehmen euch mit, behandeln euch scheiße und ihr könnt fliehen. Alles gut soweit. Ihr findet einen Job als Putzfrau und lernt dabei einen attraktiven Mann kennen. Ihr vertraut ihm, weil – ja, warum eigentlich? Weil er ein Piano in seiner Wohnung hat? Weil er ein guter Komponist ist? Weil er so gut aussieht? Weil er euch einen Regenschirm geliehen hat?! Und dann nimmt er euch noch mit nach Cornwall, um vor den bösen Männern zu flüchten. Ihr kennt euch gerade mal ein paar Tage.

Klischee 5: Liebe auf den ersten Blick. Kaum tritt Alessia in sein Leben, ist es um den Lord geschehen. Natürlich hat er vor allem eins im Kopf: Sex. Zu den unpassendsten Momenten denkt er an Sex!

Zitate

Streicht euch zwei wichtige Tag im Kalender an: den “Let’s Fuck Thursday” und den “Falling-in-Love Monday”.

I take a slug of my drink and scan the room. That’s what I want now: a hot, willing woman, skinny or otherwise. It’s Let’s Fuck Thursday.

E.L. James: The Mister

Für jemanden wie Maxim, der schon früh seine Unschuld verloren hat, ist es übrigens unverständlich, dass eine Frau mit 23 Jahren (!) noch nie mit einem Mann geschlafen hat. Unbegreiflich, ich weiß.

At twenty-three she’s never slept with a man?

E.L. James: The Mister

Maxims Gedanken, bevor er Alessia entjungfert, muss ich nicht kommentieren, oder?

It’s a tough job, but someone has to do it. Might as well be me.

E.L. James: The Mister

Maxim trauert um seinen Bruder und weint. Ein Mann darf nicht weinen. Das ist unmännlich!

And I cannot stop the tears sliding down my face. Shit. She’s unmanned me.

E.L. James: The Mister

Würde er sich auch so hilfsbereit erklären, wenn sie nicht schön wäre, wenn sie nicht in seinen Augen sexy ist? Hilft er ihr nur, weil sein Schwanz das Denken für ihn übernommen hat? Du sollst ihr nicht helfen, weil du sie flachlegen willst. Du sollst ihr helfen, weil sie Hilfe braucht!

I couldn’t rescue my brother from the demons that drove him out on his motorbike into an icy night, but I can help this beautiful girl, this beautiful, brave girl.

E.L. James: The Mister

Jetzt schlägt das Herz eines jeden Bücherwurms höher. Alessia mag Bücher:

‘Have you travelled at all?’ ‘No. Only in books.’ Her smile brightens the room. ‘I have travelled all over the world in books. And I’ve been to America watching TV.’

E.L. James: The Mister

Beim Lesen habe ich mich oft gefragt, wie das Leben in Albanien ist und wie die Frau dort behandelt wird. Dem Buch nach nicht besonders gut. In dem folgenden Zitat wird Alissa von einem Bekannten von Maxim direkt angesprochen. In Albanien scheint es das nicht zu geben.

‘Good afternoon,’ she says, shaking his hand, surprised and pleased that he would address her directly.

E.L. James: The Mister

Das beste Zitat, die Frage aller Fragen:

When did I acquire a conscience?

E.L. James: The Mister

Fragen

Kennt man in Albanien keine Kartenzahlung? Als Alessia sieht, dass Maxim mit einer Karte zahlt, sagt sie: “Your card is magic.” Diese Frage kann ich dank des Auswärtigen Amts beantworten. Demnach wird dort wenig mit Karte bezahlt, stattdessen ist Bargeld die Regel.

Als sie die ersten Male bei ihm putzt, findet sie ständig benutzte Kondome in seinem Mülleimer im Schlafzimmer. Was das zu bedeuten hat, weiß sie. Aber als sie unter anderem Handschellen entdeckt, weiß sie nicht, was man damit macht. Und sie sagt an anderer Stelle, dass sie amerikanische Fernsehsendungen guckt, Netflix und HBO in Albanien hat. Wie ist das möglich, dass sie dann absolut nicht weiß, was es mit Handschellen auf sich hat?

An einer Stelle wird die Periode erwähnt (die von Caroline). Statt es so zu sagen, wie es ist, sagt Maxim im Original sowas wie “I thought you were on”, worauf sie antwortet, er hätte doch nie ein Problem mit der “crimson tide” gehabt (in Bezug auf Sex während der Periode). Im Deutschen nennt er das Kind beim Namen (“Tage”), während Caroline von “Erdbeerwochen” spricht. Wieso?! Wieso sagt er “you were on”? Ist das eine übliche Umschreibung im Englischen? Ich hab zuerst gar nicht verstanden, was er meinte. Wollte er darauf hinaus, dass sie die Pille nimmt? In dem Zusammenhang habe ich das schon mal gelesen. Aber hier machte das keinen Sinn. Hatte sie Drogen genommen? Dann kam die “crimson tide” und mir wurde klar, worum es geht. Aber warum wird im Original das Thema umschrieben, statt es konkret zu nennen? Wieso sagt sie im Deutschen “Erdbeerwochen”? Welche fast 30jährige Frau benutzt dieses Wort? Sogar ich habe es als Teenager nie benutzt, geschweige denn jetzt. Wenn ich von dem Thema spreche, sage ich “Tage” oder “Periode”, aber doch nicht so eine kindliche Umschreibung.

Fragen stellen sich Maxim und Alessia, vor allem aber Maxim, gedanklich sehr häufig. Da kann es auch mal vorkommen, dass sich die Gedankengänge wiederholen. So kommt man dann auch leicht auf die vielen Seiten. Denn meiner Meinung nach hätte das Buch auch mit etwa 100 oder 200 Seiten weniger auskommen können.

Fazit: vorhersehbarer Trash

Zumindest hat die Autorin relativ gut recherchiert, wie die Lage in Albanien momentan ist, das Thema jedoch nur sehr oberflächlich angerissen. Eigentlich unvorstellbar, aber laut Wikipedia ist Gewalt gegenüber Frauen in der Familie keine Seltenheit. Allgemein ist das Land eines der ärmsten in Europa. Seit Ende der 60er Jahre bis 1990 galt dort außerdem ein Religionsverbot, was tatsächlich auch in “The Mister” angesprochen wird. Ich denke, zu dem Land gibt es unheimlich viel, was die meisten von uns nicht wissen. Ich muss gestehen, dass ich etwas irritiert war ob der Naivität von Alessia. Auch dass der Vater eine Ehe für seine Tochter arrangiert, war für mich unglaubwürdig. Tatsächlich scheint es das aber in Albanien zu geben. Einen Artikel zur Unterdrückung der Frauen in Albanien habe ich hier gefunden.

Aber passte das ganze in das Buch? Etwas Backgroundstory und Drumherum in Romance ist ja wirklich nicht verkehrt. Schließlich handelt es sich um einen Roman und nicht um einen Porno (oder?). Aber diese Gewaltszenen? Die Entführung? Natürlich musste irgendwas passieren, damit unser Held seine Angebetete retten konnte. Aber musste es wirklich sowas krasses sein? Spannung ja, aber bitte keine Gewalt in Romance. Die Bücher sollen unterhalten und entspannen und Leser nicht triggern. Für mich war das nicht so schlimm, da ich keine persönliche Erfahrung mit Gewalt, Entführung etc. habe. Aber andere vielleicht schon?!

Außerdem hatte ich den Eindruck, als hätte E.L. James die Entführungs-Sache am Ende noch schnell eingebaut, um noch mal was Spannung zu haben. “Oh, wir müssen ja noch irgendwie Antonio einbauen. Hm, wie machen wir das am besten? Oh, eine Entführung klingt gut!”

Auf Twitter merkten einige Teilnehmer des #bbfliest an, dass nur aus Maxims Sicht in der Ich-Form erzählt wird, während Alessia als Sie-Erzählerin auftritt. Perspektivenwechsel ist in vielen Romanen dieser Art üblich. Meistens gibt es dann für jeden Perspektivenwechsel ein neues Kapitel, das mit dem Namen des Charakters betitelt ist. Bei “The Mister” ist das anders. Hier erfolgt ein Perspektivenwechsel mit einem neuen Absatz und ist nicht gekennzeichnet. Das kann schnell zu Verwirrungen führen. Allerdings habe ich mich schnell zurecht finden können. Denn Maxims Gedanken unterscheiden sich einfach zu sehr von Alessias. Schließlich denkt er, wie schon erwähnt, wirklich in den unpassendsten Momenten an Sex!

Nervig fand ich auch, dass so viel wiederholt wird. Arbeitsabläufe beim Putzen zum Beispiel. Wie Alessia ihren häßlichen Kittel anzieht und ihre Schuhe wechselt. Dass sie kein Geld für Socken hat. Dinge, die zum größten Teil völlig belanglos sind

Vorhersehbar ist das Buch deshalb, weil schon sehr früh klar wird, dass Maxim sich in seine Putzfrau verliebt und sie sich natürlich auch in ihn und dass sie zusammenkommen werden, es aber Hindernisse gibt und er sie am Ende heiraten will. Nicht vorhergesehen habe ich jedoch noch diese Entführungsszene gegen Ende und die Fahrt (im Kofferraum) über die Grenze. Und das Tontauben-Schieß-Date. Sehr ähm … romantisch.

Um auch mal was Positives zu erwähnen: habe ich schon erwähnt, dass das Buch in London spielt? Außerdem “versteckt” Maxim Alessia in einem seiner Anwesen in Cornwall. Ich war zwar noch nie in Cornwall, aber ich möchte da unbedingt mal hin.

weitere Rezensionen zum Buch

deutschsprachig: lesenswerter Artikel im Spiegel, Laura von Eden, Monis Zeitreise (#bbfliest-Teilnehmerin), Magische Bücherwelt, Giirl with the Book, Enchanted Books, Bücherfanseite, I Am Jane (#bbfliest-Teilnehmerin)

englischsprachig: Harlequinjunkie, The Spinoff, The Atlantic, What’s in my wonderland, Chatelaine,

Zum Schluss habe ich hier noch ein Zitat aus dem Guardian, welches das Buch ganz gut zusammen fasst:

It also has more red flags than a communist parade. There is a complete dearth of emotional maturity that is genuinely unsettling. After learning Alessia was trafficked, Trevelyan thinks, “I still want her and don’t my blue balls know it.” Nor has James lost her retrograde approach to gender and sex. Alessia remains so offensively dainty that, after days of nonstop bonking, she squirms at the idea of performing one lousy handjob. And there is an erratic veering between sexual bravado and flowery schmaltz that only serves to confuse the two. Trevelyan goes from referring to one woman as “some nameless fuck”, to dreaming about “bedding” Alessia within a few pages.

Sian Cain in ihrer Rezension für The Guardian