LinkedIn frustriert mich
Vor einiger Zeit habe ich ein LinkedIn-Profil eingerichtet in der Hoffnung, Ideen für meine berufliche Zukunft zu bekommen oder gar einen Job zu finden.
Social Media nutze ich schon lange. Ich war auf StudiVZ, schüler.cc, bin seit Ewigkeiten auf Facebook und habe Twitter eine Weile exzessiv genutzt. Instagram ist auch nicht mehr wegzudenken. Als die App noch relativ frisch war, habe ich sie sofort installiert. Ich gehöre zur Generation Y.
Das Problem mit allen Social Media Plattformen ist, dass sie auf irgendeine Art süchtig machen. Dauernd will ich checken, ob es was Neues gibt, ob jemand mein neues Foto auf Instagram geliked hat. Von Facebook konnte ich mich sehr erfolgreich schon mit Beginn der Pandemie losreißen und schaue jetzt nur noch ganz selten vorbei, oft nur, um jemandem zum Geburtstag zu gratulieren. Die Twitter-App habe ich von meinem iPad verbannt und am Computer ist sie nie im Hintergrund offen.
Doch andere Netzwerke ziehen mich immer noch magisch an, z. B. Instagram. Auf dem Handy scrolle ich nicht so oft durch meinen Feed, dafür umso häufiger am Computer über den Browser.
Genauso ist es mit LinkedIn. Obwohl ich noch nie etwas dort gepostet habe, schaue ich manchmal sogar mehrmals am Tag vorbei. Und dann wird mir wieder vor Augen geführt, dass ich keine Ahnung habe, was ich nach meinem Master machen werde.
Normalerweise ist man mit Mitte 20 mit dem Studium fertig, vielleicht Ende 20. Ich aber habe in dem Alter meine Ausbildung begonnen und im Anschluss das Abitur nachgeholt. Das heißt, ich bin mindestens 10 Jahre hinter den anderen.
In meinem Kopf habe den Gedanken, dass eine Frau Mitte/Ende 30 kaum eine Chance in einem Beruf hat, für den sie nicht mindestens 10 Jahre Berufserfahrung mitbringt oder wenigstens mal ein Praktikum in dem Bereich vorweisen kann. Und wenn frau dann auch noch kinderlos ist? Irgendwann wird sie welche haben, langsam wirds knapp. Die Zeit rennt davon. Dann fällt frau erst mal aus. Kaum im neuen Job begonnen, schon schwanger?
Ich wähle LinkedIn im Browser. Mir wird ein facebookähnlicher Feed präsentiert. Statt bunte Bildchen und geteilten Artikeln zu irgendwelchen Verschwörungstheorien: Bilder von erfolgreichen Menschen, die professionell in die Kamera lächeln, dazu Zitate und ein Text darüber, wie weit sie doch gekommen sind.
Alle sind happy, alle sind glücklich, alle sind froh Und überall wo man hinguckt: Liebe und Frieden und so
(Die Ärzte: Hurra)
Wie würde mein Text aussehen?
Mit 14 Jahren hatte ich meine erste Panikattacke. In der Schule. Mitten im Unterricht.
Mit 15 Jahren war ich das erste Mal in der Psychiatrie.
Mit 30 Jahren hielt ich endlich mein Abiturzeugnis in den Händen.
Jetzt bin ich 36 und stehe kurz vor der Masterarbeit. Ich kann keine besonders tollen beruflichen Qualifikationen vorweisen. Außer, dass ich eine abgeschlossene Ausbildung zur pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten habe. Ein Beruf, in dem ich nach der Ausbildung nie gearbeitet habe.
Als Kind wollte ich Bankkauffrau werden, wie meine Mutter. Dann Moderatorin und Autorin. Ich habe Sendungen wie Mittendrin oder Löwenzahn nachgespielt und seitenweise Geschichten geschrieben.
Ich schreibe immer noch gerne. Vor einer Kamera stehen ist allerdings nichts für mich. Ebenso höre ich nicht gerne meine Stimme (aber wer tut das schon?). Ich kann mich vielleicht nicht so gewählt ausdrücken, wie andere. Aber das Schreiben ist für mich fast wie eine Therapie.
Ich arbeite gerne alleine, aber auch mit ein paar anderen Menschen zusammen, denen ich vertrauen kann. Ich mag keine Menschenmassen. Vor allem durch die Pandemie habe ich mich noch mehr zurückgezogen. Ich brauche manchmal Ruhe, einfach Zeit für mich und meine Gedanken. Noch heute bekomme ich Panikattacken. Ich habe vor vielen Dingen Angst. Wenn ich eine Präsentation halte, bin ich sehr nervös und stolpere über meine Sätze. Dabei mag ich es sogar Dinge zu präsentieren, ein Referat vorzubereiten. Ich mag es vor allem, etwas in Wort zu fassen.
Ich mag Technik und möchte Apps entwickeln können. Ich probiere gerne Neues aus, zumindest neue Apps.
Ich weiß nicht, was ich beruflich machen möchte. Ich weiß nur, was ich nicht möchte: dauernd unter vielen Menschen sein, telefonieren oder in einem Großraumbüro arbeiten.
Auch wenn ich nicht die nötige Erfahrung mitbringe: ich bin bereit, etwas Neus zu lernen und auszuprobieren.
Was hat das mit meiner Frustration über LinkedIn zu tun? Ich stöbere dort Stellenangebote, die interessant klingen. UX Designer? Copywriter? Tester? Ja, gerne. Erfahrungen? Hab ich keine. Zählt der Kurs, den ich bei Codecademy zu UI und UX Design? Oder dass wir mal sowas in der Uni hatten? Ich habe mal zwei Wochen der Testerin im Team meines Mannes über die Schulter geschaut, weil ich wissen wollte, was sie macht. Ich würde sowas gerne beruflich machen. Aber ich habe keine Erfahrung und auch keine Zeit mehr, welche zu sammeln. UI/UX Design fände ich auch spannend.
Ich hätte ein Praktikum machen können. Aber während der Pandemie, die ja noch nicht vorbei ist (auch wenn viele Menschen so tun), habe ich mich nicht bereit gefühlt dafür. Meine Gedanken waren woanders. Teilweise ging und geht es mir nicht gut. Ich will nicht sagen, dass ich eine Depression habe. Die wurde mir nie diagnostiziert. Ich habe eine generalisierte Angststörung. Mit 15 hieß es außerdem, ich hätte eine soziale Phobie.
Ich hätte so viel anders machen können.
Mitte Mai beginne ich mit der Masterarbeit. Ich habe also noch genug Zeit, mir zu überlegen, was ich nächstes Jahr mache. Gleichzeitig höre ich die Uhr ticken. Die biologische, obwohl ich mir nie Gedanken übers Kinderkriegen gemacht habe. Aber ein Kind wäre schon gut. Mehr muss auch nicht sein.
Aber ich möchte nicht Hausfrau und Mutter sein, so wie meine Mutter. Ich möchte arbeiten, auch mit Kind. Das geht. Wir leben nicht mehr im Jahr 1950.
Wahrscheinlich frustriert mich LinkedIn, wie auch Instagram, weil ich Angst habe, dass ich keine Chancen auf einen Job nach dem Studium habe, weil ich schon so „alt“ bin, weil ich keine Erfahrung habe. Und weil ich neidisch bin auf all die anderen Frauen, die jünger und erfolgreicher sind als ich.
Meine einzige Qualifikation ist, wenn ich fertig bin: Master of Arts in digitaler Medienkommunikation.
Zu viel Zeit habe ich schon in sozialen Netzwerken verbracht. Vielleicht bin ich einsam. Vielleicht macht es mir Spaß, mich täglich zu quälen, indem ich doomscrolle. Vielleicht finde ich ja doch meine Berufung, meinen Job. Irgendwas, was mir Spaß macht. Vielleicht sollte ich etwas tun gegen meine Einsamkeit, die Angst, meine Rastlosigkeit, diesem Gedankenstrudel im Kopf.
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